REISEN IM SUDAN

Im Dezember 2015 war ich zwei Wochen im Sudan unterwegs. Mit Rucksack, mit Bussen, ohne gebuchte Hotels. Zusammen mit einem Freund, der Arabisch spricht. In einem Land, das keine touristische Infrastruktur hat. Und deshalb umso schöner zu bereisen ist. In mehreren Folgen berichte ich hier über meine Eindrücke aus Afrikas drittgrößtem Land.  Bilder – alle von mir – folgen.

Prolog: IM SUDAN?? REISEN??

In den Sudan? Warum ausgerechnet dorthin? Alle Freunde fragten verwundert beim Verkünden des Plans. Ja wirklich, von außen betrachtet, warum würde man das wollen, und dann noch über Weihnachten und Neujahr? Beim Wort Sudan fallen allen die schlimmsten Dinge ein. Diktatur, Bürgerkrieg, Elend, Flüchtlinge, Embargo. Unter den Ländern Afrikas hat der Sudan, eines der größten der Länder, mit das schlechteste Image. (Karten von Wikimedia commons).

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Der Sudan ist das drittgrößte Land auf dem Kontinent; fünfmal so groß wie Deutschland – das sind fast 1,9 Millionen Quadratkilometer. Im Zentrum ist das Land beherrscht von Wüsten, die zur Sahelzone gehören, jenem unseligen Landstrich dieser Erde, den man als erstes mit Dürre und Hunger verbindet. Sahara, Libysche Wüste, Nubische Wüste. Der andere Herrscher des Zentrums ist der Nil. Er sorgt inmitten von Wüste und Steppe für ein dichtes grünes Band, an dem es blüht und gedeiht. Hier blühte und gedieh auch die nubische Kultur, die feiner und zugleich vielseitiger erscheint als die des nördlichen Nachbars Ägypten. Heute ist der Sudan ist eines der ärmsten Entwicklungsländer Afrikas. An allen Ecken liegen Problemgebiete: Darfur im Westen, an die 400.000 Menschen kamen dort in den Jahren 2003-2004 ums Leben. Süd-Sudan im Süden, seit 2011 ein eigenes Land, das seine Einkünfte aus den Ölfeldern für sich behalten möchte und zerrissen ist von permanentem Bürgerkrieg. Sudans Grenze zu Eritrea im besonders armen Osten beschert den dort lebenden Völkern Spannungen untereinander und mit dem Nachbarland.

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Und wie soll man ein Land bereisen, zu dem es kaum Reiseführer gibt, weil es keine Infrastruktur für Touristen gibt? Ein Land, über das die USA ein Handelsembargo verhängt haben, damit weder Einfuhr aus der noch Export in die westliche Welt, weshalb auch Kreditkarten nicht funktionieren? Ein Land, in dem man als Reisender sein ganzes Geld bar dabei haben muss? Ein Land, dessen Staatssprache Arabisch ist und das sich keine Mühe gibt, seinen Bürgern Englisch beizubringen? Ein gigantisches Land, dessen Städte nur von Bussen verbunden werden und es nur eine einzige Bahnlinie mit Personentransport gibt? Ein Land, in dem Hotelbuchungen unmöglich sind, mit ganz wenigen Ausnahmen in der Hauptstadt Khartoum?

 

Ein Ass im Ärmel hatte ich: mein Freund Christoph, der ein Afrika-Kenner ist und Arabisch spricht, war dabei. Er reagierte auf all die Fragen gelassen und meinte, was man über den Sudan höre sei, dass es ein sicheres Land ist und das sei doch ganz entscheidend. Um nicht zu viel fliegen zu müssen, wollten wir deutlich nördlich des Äquators bleiben. Und was bleibt dort , von West nach Ost? Keine ermutigende Bilanz: Unruhen, Krisen, Ebola, Angriffe auf Touristen, Länder im Umbruch wie Tunesien oder Ägypten völlig in Trümmern wie Libyen, versunken in Problem wie der Tschad. Bis auf: den Sudan. Trotz Darfur und Süd-Sudan ist es im nördlichen und größten Teil des Landes friedlich. Man kann es auch Ordnung nennen. Es herrscht ein Militärregime und es gilt in dem sunnitischen Land das Gesetz der Scharia. Auf seiner Webseite weist das Auswärtige Amt auf Risiken hin, verbreitet aber keine Reisewarnung.

 

Zur Sicherheit schrieb ich eine e-Mail an die deutsche Botschaft in Sudans Hauptstadt Khartoum. Die Antwort kam schnell: keine weiteren Sicherheitshinweise, der Stand der Webseite sei aktuell. Man solle ruhig kommen, der Sudan sei ein unterschätztes, ein interessantes Land. Und was sagt „Lonely Planet Africa“, der dem Sudan gerade einmal 20 Seiten von 1130 widmet? Derzeit eines der sichersten Länder Afrikas, das alleine wegen der Freundlichkeit der Menschen dort die Reise wert sei. Das ermutigende Bild bekam Kontur. Am 22.Dezember 2015 flogen wir in den Sudan.

 

 

Erster Teil: WELCOME          

 

„Welcome“ – das ist der Klang des Sudan. Wo wir gerade gehen, durch die Straßen der Hauptstadt Khartoum, durch den Suk der Provinzhauptstadt Kassala im Osten und entlang des Nils in Karima im Norden: „Welcome“ schallt es uns entgegen, „welcome“ ertönt es von hinten. Der Sudan bietet sich als freundliches Land dar. Wenig erinnert daran, dass es hier auch eine grimmige Seite geben kann. Dass der Sudan eine von Präsident Umar Hasan Ahmad Al Baschir und den Militärs geführte Diktatur ist, bemerken wir in der Nähe der Regierungsgebäude in der Hauptstadt Khartoum. Dort stehen junge Männer in Uniform und mit Gewehren herum oder sitzen in Wachhäuschen hinter Betonpollern. Wir bemerken es an den Kontrollposten bei Fahrten über Land, wo die Passagiere des Busses ihre Pässe herzeigen müssen und im Kommandoton zum Aussteigen gezwungen werden.

 

Sonst aber herrscht die Freundlichkeit im Sudan. Vermutlich, weil das Land wegen eines schon Jahre währenden Embargos durch die westliche Welt verschont geblieben ist von Touristenhorden mit ihren globalisierten Erlebnis-Ansprüchen. Deshalb auch verschont vom Beutereflex, mit dem die Bevölkerung vom Tourismus geplagter Länder über die Besucher herfällt. Es geht sich sicher durch die Straßen im Sudan und es lässt sich entspannt schlendern und schauen in den Suks von Omdurman oder Kassala. „Hey Mister, welcome, how are you?“ Die Sudanesen sprechen nicht viel Englisch, aber sie kennen die richtigen Worte.

 

Nach insgesamt zwölf Stunden Busfahrt von Khartoum aus – zunächst durch grüne Gegenden am Nil, danach wieder durch Wüste mit den typischen Vegetations-Gerippen –  kommen wir nach Kassala, der quirligen Hauptstadt der gleichnamigen Provinz im Osten. Vierzig Kilometer entfernt von der Grenze zu Eritrea. Am Morgen nach der Ankunft gehe ich alleine an diesem Morgen zur Busstation für die lokalen Verbindungen. Christoph ist schon früher los; er wollte die Taka-Berge besteigen, das Wahrzeichen der Stadt. Die Taka-Berge sind eine Bergkette. Man sieht sie von weitem, man sieht sie von fast jedem Punkt der Stadt aus. Bis zu 1400 Meter sind sie hoch. Sie sehen aus, als habe ein Kind Lehmbatzen grob zu Zuckerhüten geformt und dann nebeneinander, ein bisschen krumm und schief, auf die Erde geworfen. In der Meinung der Bewohner sehen sie aus wie Tropfen, die stehen geblieben sind. Deshalb werden sie auch „Totil“-Berge genannt. Totil heißt Tropfen.

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Die Taka Berge erheben sich hinter Kassala

Mir genügt es, an den Fuß dieser Berge zu fahren; dort will ich die Katmiyah-Moschee besichtigen, die der einzige verfügbare Reiseführer als „Must“ erwähnt. Dort habe ich auch erfahren: Diese Moschee hat für Sakralbauten eine gar nicht so lange Geschichte. Sie wurde um 1840 herum erbaut und schon wenig später, 1898, in Kriegen, die um Kassala herum die Anhänger verschiedener Glaubensrichtungen führten, zerstört. 1940, während der Besatzung durch Italien, wurde die Moschee teilweise wieder aufgebaut. Als Erinnerung an die große Zerstörung ließ man das Dach ungedeckt. Es blieb ein Wald von Säulen mit verbindenden Steinbögen darüber. Die Verheißung ist groß, das möchte ich sehen. Später werde ich wissen, dass es sich gelohnt hat. Nicht nur wegen der Moschee.

Auf dem Weg vom Hotel zum Busbahnhof gehe ich durch eine Geschäftsstraße. Am kühlen Morgen sitzen die Geschäftsleute in ihren weißen Jalabijas unter der Arkaden vor ihren Läden. Und viele von ihnen schauen mich an, lächeln, rufen mir zu: „Welcome!“ Einer von Ihnen lädt mich mit einer Geste ein, mich zu sich auf den Boden zu setzen. Unmittelbar vor ihm betreibt ein anderer Mann einen der Kaffee- und Teestände, auf die man sich überall im Land verlassen kann. Schon bin ich eingeladen: „What do you want, coffee or tea?“ Das kommt mir sehr gelegen, denn ich hatte noch kein Frühstück. Die landesüblichen Hotels bieten keines an und auf dem Weg zum Busbahnhof wollte ich auch nach etwas Frühstückbarem schauen. Der Kaffee wird in einer kleinen Kanne aus Aluminium serviert. Zum Kaffeeduft entsteigt ihr auch ein deutliches Aroma von Kardamom.

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Der Schneider und seine Angestellten

Mein Gastgeber in seiner makellos weißen Jalabija – darauf achtet gewiss seine hier nicht anwesende Frau – plaudert sofort los. Nach den üblichen Fragen, wo ich den herkomme und warum gerade in den Sudan, erzählt er von sich. Er sei Schneider und er lebe gerne im Sudan, der Sudan sei ein sicheres Land. Die Frage, ob das nicht an der Diktatur liegen könnte, behalte ich lieber für mich. Den Eindruck der Sicherheit teile ich mit meinem Gastgeber: Der Sudan ist, für den Reisenden jedenfalls, ein sicheres Land. Und er ist ein ehrliches Land. Diese Einladung erhielt ich ganz alleine aus Neugierde an meiner Person. Mein Gastgeber will mir nichts andrehen, nichts wir mir entwendet. Wir plaudern, ich erfahre noch einiges über seine Familie und darüber, dass er wohl mehrmals verheiratet war. Dann entschuldigt er sich höflich; er müsse jetzt wieder an seine Arbeit. Hinter ihm warten seine Angestellten auf seine Anweisungen.

 

Der lokale Busbahnhof von Kassala liegt auf dem großen Platz am nördlichen Ende des Suk. In Reih und Glied stehen die Mini-Busse. In anderen Orten – Karima, Dongola im Norden – musste man im Chaos der kreuz und quer stehenden Busse genau hinschauen, welcher zur Abfahrt bereit war, welcher nicht. Ich freue mich an der Ordnung hier, male mir eine Chance aus, auch ohne Arabisch den richtigen Bus zu finden. Ich nehme die Kamera aus der Tasche, will die Minibusse und das Gewusel darum herum fotografieren. Da höre ich es wieder: „Welcome“. Ein schlanker, dabei stattlicher älterer Mann steht vor mir. „You are taking pictures; where are you from“. Die ältere Generation im Sudan, sie hat offenbar noch etwas Englisch gelernt. Die englische Kolonialzeit, sie begann 1898 und ging 1956 mit der Unabhängigkeit des Landes zu Ende, konnte auf die Älteren noch abfärben.

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Auf dem Busbahnhof von Kassala

 

Der Mann – Abdul sein Name, wie ich später erfahren sollte – freut sich über mich als Besucher und sieht meine Hilflosigkeit und gibt mir einen Rat: „Du solltest auf jeden Fall zu den Taka-Mountains und zur Katmiyah-Moschee fahren.“ Auch die Antwort auf die nächste ungestellte Frage kommt sofort: „Die Busse fahren hier ab; ich zeige Dir, welchen Du nehmen musst.“  Er nennt mir die Namen der Orte, an denen ich aussteigen soll, Katmiyah, Toteil; dort könnte ich am nächsten an die Taka-Mountains heran. Zuvor könne ich von dort aus die Katmiyah-Moschee besichtigen. Die Namen klingen so völlig anders, als ich sie mir vorgestellt hatte. Würde ich sie mir merken, sie dem Busfahrer richtig nennen können? Abdul sieht wohl meine Zweifel und zögert nicht: „Ich werde mitkommen und Dir zeigen, wo Du hinmusst.“  Nach einigen Tagen auf Reisen sagt mir mein Gespür für den Sudan, dass ich dieses Angebot guten Gewissens annehmen kann. Hätte er nicht die Zeit, hätte er auch nicht das Angebot gemacht.

 

Abdul findet für uns den richtigen Bus. Nach kurzem Palaver mit dem Fahrer in der Landessprache Arabisch weiß er auch, dass die Fahrt gleich losgeht. Mein neuer Freund und Reisebegleiter zahlt beide Busfahrscheine, Widerstand zwecklos. „Du bist ein Gast in unserem Land.“ Der wohlhabende Europäer muss sich erst wieder daran gewöhnen, dass die Bewohner eines so viel ärmeren Landes ihn einladen und freihalten. Zum Glück ist mir bewusst, dass dies für einen wie Abdul eine Sache des Stolzes ist und so kann ich die Einladung mit ruhigem Gewissen annehmen. Dazu ist es ein gutes Gefühl, dass ich m ich nicht um den Ausstiegsort kümmern muss. Ich betrachte die Szenerie am Rand der Straße. An denn allgegenwärtigen Tee- und Essensständen fahren wir vorbei, ein Markt für Ziegen und Schafe, niedrige Bauten aus Lehmziegeln, wie auf dem Land üblich. Dann wieder Sand und Staub, viel Staub.

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Auf dem Weg von Kassala nach Katmiyah

 

Unser Minibus ist eine Art Linienbus, es gibt festgelegte Haltestellen. Abdul signalisiert mir, wo wir aussteigen müssen, in der die Ortschaft Toteil. Nun sind die Taka-Berge ganz nah und wirken unerwartet hoch und massig, richtige Berge eben. Ich gehe mit Abdul durch Straßen, die zwar nicht gepflastert oder asphaltiert sind, aber sehr sauber gehalten. Der Sudan mag ein sehr armes Land sein. Dass es ein Land mit einer bedeutenden Zivilisation ist, das merkt man dennoch an allen Orten. Die Häuser sind bunt gestrichenen, reinlich gehalten. Ziegen kommen aus angelehnten Toren heraus, sie laufen ungestört in den Straßen herum, denn Manschen sehen wir kaum welche. Viele der Straßen laufen direkt auf den Fuß eines der Taka-Berge zu, deren Steinwände so steil aufragen als wüchsen sie gerade aus dem Boden heraus.

Auf dem Weg zur Moschee kommen wir an einem quadratischen, zartgelb und hellblau gestrichenen Gebäude vorbei. Es steht frei auf einem Platz. Nur bruchstückhaft kann mir Abdul erklären, dass es sich um ein Mausoleum handelt und dass hier regelmäßig Pilger herkommen. Mich kümmern die Details in diesem Moment nur wenig. Die Schlichtheit und Eleganz des Gebäudes beschäftigen mich genug. Das ist nicht der erste, sondern einer von vielen anderen Eindrücken, um welch ein reiche Kulturnation es sich beim Sudan handelt. Später erfahre ich, dass es das Mausoleum des Al-Hasan al-Mirghani ist. Al-Hasan al-Mirghani wird als Gründer des Katmiyah-Ordens verehrt, der lange Zeit die einflussreichste Bruderschaft im Sudan war.

 

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Al-Hasan al-Mirghani prägte das Gesicht des Islam im Norden des Landes. In Wirklichkeit hatte schon Al-Hasans Vater Muhammad Uthman al-Mirghani die entscheidenden Vorarbeiten geleistet. Tatsächlich gegründet hat Al-Hasan al-Mirghani den Ort Katmiyah, ihn zum Zentrum des Ordens gemacht und auch die Moschee errichten lassen. Weitreichende Macht zieht jedoch bald ihre Feinde an. 1884 eroberten die Mahdisten Katmiyah, eine Gruppierung um Muhammad Ahmad bin Abd Allah, dem religiösen Führer der Samaniyya. Muhammad Ahmad hatte sich zum „Mahdi“ proklamiert, dem Messias des Islam. Da war es wichtig, seinen Rang auch in der realen Welt geltend zu machen. Katmiyah wurde zerstört und damit auch der Einfluss des Ordens. Immerhin gibt es auch heute noch so viele Anhänger des Ordens, dass es sich wohl lohnte, nicht weit von der Moschee einen Vergnügungspark für die ganze Familie an den Fuß eines der Berg-Tropfen hinzubauen.

 

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Abdul, mein Reiseführer in Katmiyah

Auch dorthin führt mich Abdul. Zuvor gehen wir zur Moschee. Auf dem Platz davor gibt es – auch im Nicht-Tourismus-Land Sudan! – Andenkenläden. Ich bereue es später, dass ich die Sachen dort nicht so genau anschaue. In der Erinnerung wirkten sie eher seriös auf mich als verlockend. Es waren doch eher religiöse Andenken, die einen richtigen Wert nur für die Anhänger des Glaubens haben. Also nichts für Touristen. Hier ist sowieso alles religiös. Mitten auf dem Platz vor der Moschee steht eine Betonwanne mit einem Brunnen. Italienischen Besatzer haben ihn in den 1940er Jahren an die Stelle gesetzt, an der Al-Hasan Mirghani Wasser aus dem Fels geschlagen haben soll. Wo immer es herkam, es läuft munter und ungehindert. Wir umrunden den klobigen Turm der Moschee. Seine Kuppel sieht von außen aus wie ein fetter Batzen Erde, der nur deshalb auf dem Turm hält, weil er mit Holzspießen gespickt ist. Wie ein Modell in Arbeit in der Töpferwerkstatt.

 

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Die Katmiyah Moschee bei Kassala von außen

Um so ebenmäßiger bieten sich die Säulen der Moschee dar. Nur fehlt ihnen das Dach. Die Sonne lässt die rotbraunen Ziegel der Säulen leuchten und wirft ihre Schatten mit harter Kontur auf den Boden. Über den Wölbungen des Säulenwaldes strahlt der Himmel in kräftigstem Blau, ungehindert weisen die Säulen dahin, wo Gott und Götter wohnen. Es ist ruhig in dieser Moschee, ein leichter Wind weht durch die Säulen, immer wieder kommen Menschen vorbei, mehr Frauen als Männer, spielende Kinder. Ihre Stimmen und Geräusche dringen nur leise durch. Hier herrscht die Natur, die Wüste. Dem Menschen bleibt nichts anderes als der Glaube.

 

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Die Säulen der Katmiyah-Moschee

Abdul wartet draußen vor dem Säulenwald.  Als ich zu ihm möchte, drängt sich ein Junge in den Weg und spricht mich auf Arabisch an. Ich gestikuliere, dass ich seine Sprache nicht verstehe. Der Junge lächelt, seine Zähne sind blitzblank weiß, und zeigt auf meine Kamera. Er möchte, dass ich ihn fotografiere. er zeigt mir sogar, vor welchem Hintergrund er am liebsten fotografiert werden möchte, direkt an der Mauer der Moschee. Ich beginne, ihn zu fotografieren, der Junge nimmt immer neue Posen ein, es macht ihm Spaß, er ist ausgesprochen fotogen, er hat lebhaft Kontakt mit der Kamera, ganz ohne Scheu. Er will nichts dafür, der Spaß am Posieren genügt ihm. Ich erinnere  mich an ein Wort von André Heller: die Touristen zerstören die Länder, in die sie am liebsten reisen. Der Sudan ist von dieser Zerstörung verschont geblieben, dieser Junge zeigt es mir.

 

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Ebenso zeigt es mir Abdul. Er führt mich an Plätze, von denen aus ich die besten Fotos machen kann. Zeitdruck kennt er keinen, eine Uhr trägt er nicht. Als Ende unserer Tour hat er den Familien-Freizeitpark am Fuß eines der Berge ausgewählt. Imbissbuden, Teestuben in schattigen Zelten, Souvenirstände die geradezu überquellen, auch die Kinder werden erwartet: Karussells, Schaukeln, Tierfiguren zum draufsitzen. Als ich mich später mit Katmiyah beschäftige, erfahre ich, dass der Ort immer noch eine beliebte Pilgerstätte der heutigen Anhänger des Ordens ist. Man kommt offenbar mit Kind und Kegel und möchte nach der Erbauung noch etwas Spaß. Als ich mit Abdul im Teezelt sitze, kommt Christoph genau hier vom Berg heruntergewandert. Gibt es da oben etwa Wegweiser in diese Richtung? Abdul verweigert sich weiter jeder Dankbarkeit. Die Einladung zum Essen lehnt er ab. Wenigstens ein Getränk nimmt er auf meine Rechnung an. Ich bin mir ganz im Klaren darüber, dass ich zu Hause in Deutschland mit solcher Gastfreundschaft nie werde mithalten können.

 

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Im Zentrum von Kassala

 

Dann meint Abdul, es sei nun Zeit für ihn, zurückzufahren in die Stadt. Der Ausflug endet so ungezwungen, wie er begonnen hat. Auf dem kleinen Platz an der Abzweigung im Dorf steht der Minibus, den Abdul zurück in die Stadt nehmen möchte. Wir tauschen Mailadressen aus.

„Welcome“, im Sudan ist das ein Wort prall von Leben. Die Stadt Kassala, für mich bisher nicht mehr als ein Punkt auf der Landkarte eines riesigen Landes, hat nun ein freundliches Gesicht und einen wohltönenden Klang.

 

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