ZEIT IM TEEHAUS

Teehaus Japan korrIn München steht … ein japanisches Teehaus. Man stößt eher zufällig darauf, wenn man im Englischen Garten, nicht weit vom Odeonsplatz, eine Schleife hinter dem Haus der Kunst nimmt. Eine nicht allzu große, fast unauffällige Tafel weist darauf hin. Sehr diskret, so, wie sich dann gleich darauf das Teehaus darbietet. Es liegt auf einer Insel in einem kleinen See. Die vielen Büsche und ausgesuchten Bäume darauf verdecken das meiste davon. Als ich es entdeckte, war das Tor – schlichte, aber sorgfältig gefertigte und dicht gefügte Holzlatten – geschlossen. Ein grüner Flyer in einem Kästchen daran gab mir Auskunft, dass die Öffentlichkeit an diesem Ort an bestimmten Wochenenden in den Monaten März bis Oktober an einer Teezeremonie teilnehmen kann. Viermal an jeweils einem Tag, Reservierung nicht möglich. Ich war bei so etwas noch nie dabei.

Deshalb ging ich am angegebenen Wochenende im Oktober wieder hin. Es war die letzte Chance im Jahr 2017. Ich wartete eine halbe Stunde vor dem Tor und wurde dann eingelassen. Mit mir 24 weitere Besucher. Mehr passen nicht hinein. Schon bei der Annäherung an das Haus wird einem bewusst, dass das Gebäude – und gewiss die zu erwartende Zeremonie – Ansprüche stellt. Der erste Weg endet an einem sorgfältig geharkten Kiesbett. Die akkurat parallel gezogenen und geschwungenen Linien darin geben das klare Signal, dass hier keiner hineintreten soll. Auf den zweiten Blick erst entdeckte ich die runden Trittsteine, die den weiteren Weg weisen. Zu einem kleinen Warteraum mit einer Bank im freien, zum Inneren des Hauses.

Das Haus in München wurde hier 1972 aufgestellt, erfahren wir in einer Einführung von einem Deutschen in japanischem Gewand. Ich werde ihn den „Informanten“ nennen. Das Haus ist das Geschenk einer Teeschule in Kyoto. Gebaut wurde es in Japan und dann in Einzelteilen nach Europa geschafft. Die Kunst, aus Holz und Papier ein dauerhaftes Haus zu bauen, beherrscht man so nur in Japan. Immer wieder seien japanische Handwerker gekommen, um nachzubessern und Reparaturen auszuführen. Das Haus ist tipp-top in Schuss, wie eben hingestellt. Man mag es gründlich in Japan. Das wenige, woraus das Haus besteht, muss vom besten und bestens gepflegt sein. Die Wände aus Holz, die Fenster aus Papier. Da kommt immer wieder ein Loch rein, einfach so aus Versehen, berichtet der Informant. In Japan bemalen die Kinder die Papierfenster mit ihren Buntstiften. Dann wird eben wieder neues Papier eingesetzt. Wie das genau geht, das wissen am besten die Japaner.

Fünf Stunden Teezeremonie

Das Haus ist auch extrem aufgeräumt. Weil so gut wie nichts darinnen ist. In einem Teehaus soll auch nichts drinnen sein, erfahren wir. In Japan lassen sich die Gäste auf dem Bodenbelag nieder, den Tatami-Matten. Dort, auf dem Boden, findet alles statt. Für uns unbedarfte Besucher stehen Bänke zum Sitzen bereit. Die japanischen Kenner würden der Zeremonie im Kniesitz beiwohnen, wird uns berichtet. Bei der Zeremonie im Vollformat – sie dauert dann an die fünf Stunden – geht das auch bei den „Profis“ an die Grenzen der Kraft. Ich spüre schon, wie sich das Relief der Tatami-Matte in mein Knie einprägt. Europäisch auf dem Bänkchen sitzen ist besser. Rechts neben mir bedient während des Vortrags eine junge Frau eifrigst ihr mobiles Telefon. Ich schaue hin; sie tippt und schickt eine Nachricht nach der anderen. Das bringt mich auf den Gedanken, dass auch ich meines bedienen will. Um es abzustellen.

Es ist so wenig in dem Haus, dass ich mir das, was da ist, genauer ansehe. Eine Zeichnung, ein schwarzer Vogel auf einem dürren Zweig, hängt zu meiner linken. Vor uns rechts hängt in einer Nische ein Band mit Schriftzeichen. Darunter ein kleines Blumengesteck in einer Vase. Links davon, vor dem runden Fenster, steht ein größeres Gefäß auf dem Boden. Ein Ofen könnte das sein, auch ein Gefäß für Wasser oder Tee. Weiter lenkt nichts das Auge ab von den Holzleisten, die sich rechtwinklig kreuzen, von den Papierflächen, die mildes Licht hereinlassen und dem feinen warmen Braun der Täfelung. Dieser Raum wirkt auf mich ganz aus sich alleine. Er verströmt Ruhe und Geborgenheit, auch in Gegenwart von so vielen Besuchern. Ich schaue mich weiter um. Die Handy-Bedienerin hat aufgehört zu tippen. Jetzt schaut sie nur noch darauf.

Der Informant betätigt in seinem Vortrag die Eindrücke. Dieses japanische Teehaus in München ist ein typisches japanisches Teehaus. So soll es sein, so gering ausgestattet, so aufgeräumt. Die Menschen darin sollen sich ganz darauf konzentrieren können, weswegen sie gekommen sind. Wegen der Teezeremonie.

Der Ort für den „Weg des Tees“

Unser Informant – der nicht der Gastgeber ist, wie sich noch zeigen wird – berichtet aus der jahrhundertelangen Geschichte des Tees in Japan und seiner zeremoniellen Zubereitung. Die Zeremonie, Tee zuzubereiten, ist eine Kunst, die in Japan der Malerei, Kalligraphie und Musik vergleichbar ist. Ein Mensch braucht Jahre, um diese Kunst zu erlernen. Sie wird an Teeschulen von ausgewiesenen Meistern an die Schüler weitergegeben. Die ausgewachsene Zeremonie mit allen Formalitäten dauert an die fünf Stunden. Dazu gehört auch der Weg der Gäste zum Haus und die Begrüßung durch die Gastgeber. Man darf nur auf die Steinplatten im geharkten Kies treten. Das soll die Besucher dazu führen, sich auf ihre Schritte zu konzentrieren und sie zu verlangsamen. Auf Japanisch heißt die Zeremonie „Weg des Tees“, und der beginnt gleich am Tor. Das Ergebnis des „langen“ Weges ist ein „dicker Tee“, der mit Löffeln mehr gegessen als getrunken wird. Wir werden nur der kurzen, einstündigen Version teilhaftig, die einen „dünnen Tee“ ergibt. Auch der sei stark, habe es in sich, sagt der deutsche Herr im japanischen Gewand.

Dann beginnt die Vorführung. Auf der linken Seite wird eines der mit Papier bespannten Wandelemente weggeschoben. Ein jüngerer japanischer Mann tritt ein – er ist auf den Knien, nur gibt es das Wort „einrutschen“ nicht -, und nimmt dann vor dem Gerät Platz, das tatsächlich der Ofen und der Wasserkessel in einem ist. Er führt nun die Vorgänge durch, die die Zeremonie ausmachen. Unser Informant lässt sich in einiger Entfernung davon nieder und beobachtet die Prozeduren. Nicht er, sondern sein japanischer Kollege ist also der Zeremonienmeister und damit der Gastgeber. Der Gastgeber führt die Zeremonie selbst durch. Unser Informant hingegen kniet nun vor einer Schale mit Keksen, die er immer wieder verschiebt und vor einer Teeschale, die er hin und her dreht und sie sehr gründlich betrachtet. Wir, die vermeintllichen Besucher, haben nur die Rolle von Zuschauern.

Das Ritual ist streng geregelt. Der Meister der Zeremonie ist damit beschäftigt, den Deckel des Wasserkessels hin- und her zu bewegen und ihn sehr korrekt an wohl exakt bestimmten Orten abzusetzen. Er hebt Schalen empor, füllt sie mit Wasser und leert sie wieder aus. Immer wieder schöpft er Wasser mit einer hölzernen Kelle. Dafür schnappt er sich das Gerät nicht einfach. Er hebt es mit den Fingerspitzen beider Hände empor, betrachtet es andächtig, bewegt es so präzise wie ein Kranführer seinen Kran.

Abläufe seit Jahrhunderten festgelegt

Jede der Bewegungen ist seit Jahrhunderten festgelegt. Das höchste Ziel eines Teemeisters muss es wohl sein, diese Bewegungen vollendet und so fließend wie möglich auszuführen. Der junge Mann arbeitet mit sichtlicher Konzentration, nichts ist dem Zufall überlassen, nichts stört den Fluss der Vorgänge. Dass der Tee möglicherweise bereitet ist, erkenne ich daran, dass er unserem immer noch knieenden Informanten eine Schale hinstellt. Oder hat er sie ihm gereicht? Alles geschieht so ruhig und fließend, dass ich nicht allen Einzelheiten folgen kann. Der Informant betrachtet die Schale, sagt einige Worte auf Japanisch, kostet. Wieder einige Worte auf Japanisch.

Plötzlich ist die Zeremonie zu Ende. Der Zeremonienmeister zieht sich ein, zwei Mal in den Raum hinter der Schiebetür zurück. Ich merke kaum, was passiert, ich sehe nur der Unterschied, Auf einmal ist alles wie vor dem Beginn, auf dem Tatami wo sich alles abspielte, steht nur noch der Ofen-Kessel alleine, als habe man ihn verlassen. Mit seinem runden Keramik-Bauch beansprucht er wieder den ganzen Raum, er strahlt Autorität aus. Er war das Zentrum der Handlungen bisher. Nun herrscht wieder Ruhe um ihn herum. Fast erscheint mir die Materie lebendiger als die Menschen. Ein eigenartiger Zauber.

Am Ende der Zeremonie im Teehaus in München werden auch wir Besucher zu Gästen. Wir bekommen den Tee zum Kosten in Keramikkschalen gereicht. Er ist grün und ganz von Schaum bedeckt. Auch als „dünner“ Tee ist er dicker, als wir ihn uns gewöhnlich brauen. Der Geschmack des grünen Tees ist sehr intensiv und überhaupt nicht bitter. Ich schmecke die feinen Teile der feingemahlenen Blätter. Man trinkt das Pulver mit, hält es nicht fern vom Sud wie bei uns üblich.

Das Ziel ist Ruhe und Versenkung

Den Tee zu kosten war schön. Aber eigentlich hat es mich gar nicht mehr interessiert, was bei den Vorgängen herausgekommen ist. Sie waren für sich genommen so faszinierend wie eine künstlerische Performance. Oder wie eine geistliche Zeremonie. Sie haben wohl von beidem etwas. Die Ruhe und die Konzentration, mit der der Teemeister seine Handlungen ausführt, führen weg von der Hektik der normalen Welt. Sie scheint wie ausgelöscht. Der Sinn der Handlungen der Teezeremonie liegt ganz in ihnen selbst. Sie wollen und müssen richtig ausgeführt werden, nur dann wirken sie so stark. Dann erfüllen sie die ihnen gegebene Zeit so vollkommen, dass sie auch die Zeit auszulöschen scheinen.

Statt Zeitvertreib geschieht hier Zeiterfüllung. Dem Menschen muss es in allen Kulturen ungemein wichtig zu sein, mit der Zeit etwas anzufangen. Nur Da-Sein, wie ein Hund hinterm Ofen, genügt nicht. Diese Teezeremonie erscheint mir als sehr friedliche und kultivierte Art des Umgangs mit der Zeit. Sie bringt Menschen zusammen und bietet allen Anwesenden Gelegenheit, an der Zeiterfüllung teil zu haben. Ich fühle mich geklärt, innerlich aufgeräumt. Ich denke daran, was für unerbittliche, gnadenlose Krieger japanische Männer waren. Es waren wohl solche Zeremonien, mit denen sie schlimme Erinnerungen verdrängt und dabei neue Kräfte gesammelt haben.

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